Lienhard. Editionen. Kalender. Kunst.Ostschweiz

Kunstkalender 2022Marianne Rinderknecht

honigjahr © Marianne Rinderknecht Lienhard Edition N°2

Eine unprätentiöse Form wählt die St. Galler Künstlerin Marianne Rinderknecht für den Lienhard Kalender 2022. Er besteht aus 52 Karten, die man einzeln herauslösen kann. Sie bringt darin Arbeiten aus verschiedenen Werkgruppen und Zeiten zusammen, die meisten sind Entwürfe für (noch) nicht ausgeführte Malereien. So entfaltet sich auf den Karten ihr ganzes Formen- und Farbenrepertoire, das sie in den letzten 25 Jahren entwickelt hat oder aktuell erprobt. Dabei verzichtet sie bewusst darauf, die Bildmotive in einen Bezug zur Woche, zum Monat oder zur Jahreszeit zu stellen. Die Choreografie scheint eher von Kontrasten, von einem Wechsel zwischen möglichst unterschiedlichen Arbeiten auszugehen. Jede Karte steht für sich, kann herausgelöst und als Postkarte verschickt oder als kleines Bild aufgehängt werden.

Marianne Rinderknecht ist besonderes bekannt für ihre bunt-fröhlichen Wandmalereien und in Wand- und Rauminstallationen arrangierten Gemälde. Das Format des Kalenders bietet nun einen intimeren Einblick in die Vielfalt ihrer Bilderwelt. In gewissem Sinn öffnet sie mit den Kalenderkarten ein Fenster zu den Schaffensprozessen und lässt ihr Herantasten an neue Bildideen und Kompositionen erfahrbar werden. Im Laufe der Jahre hat sich die Malerin eine grosse Sicherheit im Umgang mit der Farbe erarbeitet, die ihr nun die Freiheit zum Experimentieren gewährt. Immer wieder Neues auszuprobieren ist seit jeher ein wesentlicher Ansporn in ihrem Schaffen. Inspiration fand sie dafür immer wieder in anderen Kulturen, die sie in mehreren Atelieraufenthalten kennenlernte. So in Indien oder Ägypten, wo sie die kräftige Farbigkeit und der unbekümmerte Umgang mit Farbkombinationen und Dekorativem in ihrer eigenen Reise zu Farbe und Form bestärkte. Was in der europäischen Kunstgeschichte womöglich als kitschig oder unpassend gilt, auferlegt ihr längst keine Grenzen mehr. Alles ist möglich oder wird zumindest erprobt. So erlaubt sie sich im Kalender auch Dinge, die im Grossformat kaum realisierbar wären oder sie unweigerlich in die Kitsch-Falle stolpern liessen, wie eine kindlich gemalte Sonne mit Regenbogen.

Am Anfang jeder Arbeit stehen Skizzen und Zeichnungen, in denen die Linie tonangebend ist. Schaut man in ihre kleinen Skizzenbücher, sieht man fast nur Bleistiftzeichnungen, ohne Farbe, allenfalls mit Notizen zu Farben ergänzt. Das mag überraschen angesichts der Bedeutung der Farbe in ihrem Schaffen. Sie denke sich die Farbe jedoch oft schon beim Zeichnen dazu, erklärt die Künstlerin ihre Arbeitsweise. Erst am Computer werden die Zeichnungen weiterentwickelt, Formelemente kombiniert und kommen die Farben dazu.

Eine grosse Vielfalt breitet sich nun auf den Karten aus. Das Spektrum reicht von kristallinen, an die konstruktive Malerei erinnernden Kompositionen bis zu poppigen Blumenlandschaften. Kreisel und an Stickerei erinnernde Kringel tanzen über die Bildfläche genauso wie Dreiecke und amorphe Formen. Selten sind Werke, die im Sinne eines All-over die Fläche gleichmässig und gleichwertig bedecken, sondern fast immer gibt es Schwerpunkte, welche den Blick auf sich ziehen oder in Bewegung versetzen. Manche Bilder wirken auf den ersten Blick symmetrisch aufgebaut. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man jedoch leichte Verschiebungen, welche die Komposition aufbrechen und rhythmisieren. Andere sind ganz klar asymmetrisch und die Gewichtung der Bildelemente erfolgt über Kontrapunkte in Farbe und Form. Relativ häufig liegt das wichtigste Bildelement im Zentrum, wenn auch nicht zwingend in der geometrischen Mitte der Fläche. Es gibt komplexe Konstellationen, in denen eine grössere Zahl von Elementen die Bildfläche in Anspruch nimmt. Hier gilt es, eine spannungsvolle Balance zu finden. Ein vielfältiges Zwiegespräch entwickelt sich zwischen Form und Hintergrund. In einigen Bildern scheint die Situation eindeutig, in anderen überlagern sich mehrere Ebenen, die nicht klar in eine – wenn auch imaginäre – räumliche Abfolge zuzuordnen sind.

Eine Überraschung ist sicherlich der Einzug der sogenannten «Nichtfarbe» Schwarz, die einen markanten Kontrapunkt in die bunte Welt der reinen Farben setzt. Das Schwarz wird meistens in Airbrush-Effekt mit Verläufen ins Grau und Weiss eingesetzt, was Plastizität evoziert, die zu den meist flächigen farbigen Formen in grossem Kontrast steht. Auch innerhalb rein farbiger Bilder spielt Marianne Rinderknecht gelegentlich mit verwischten Konturen und Farbverläufen und bringt die Elemente in einen vibrierenden Schwebezustand, der sie aus der Statik der Flächigkeit befreit. Als weiteres neues Element lassen sich in einigen Karten fotografische Aufnahmen lodernder Flammen entdecken. Sie irritieren in ihrer kompletten Andersartigkeit zwischen den abstrakten Formgebilden. Sie fügen eine Realitätsebene ein, brechen die Flächigkeit auf und werden dieser gleichzeitig unterworfen, indem man versucht ist, sie ebenfalls als abstrakte Formen zu lesen.

So versprechen die 52 Karten eine abwechslungsreiche und immer wieder überraschende Reise durch das Jahr und durch Marianne Rinderknechts schöpferisches Universum.

Corinne Schatz, Kunsthistorikerin

Marianne RinderknechtsSchaffen

Marianne Rinderknecht (*1967), St.Gallen

mariannerinderknecht.ch/

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