Lienhard. Editionen. Kalender. Kunst.Ostschweiz

Kunstkalender 2017Harlis Schweizer Hadjidj

Atelierbesichtigung

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung werden Künstler(-innen) und Kunsthistoriker (-innen) recht selten in die Ateliers befreundeter Künstler(-innen) eingeladen. Durchaus aus begründeter Vorsicht, vor allem wohl aber, weil das Atelier ein ziemlich intimer Raum, ein Ort des Denkens, Ausprobierens und Umsetzens ist. Also ein Ort, der vor allzu grosser Neugier geschützt werden will. Umso erfreulicher, wenn eine realistisch arbeitende Künstlerin zwölf Ansichten aus der eigenen, aber auch aus fremden Werkstätten gestalten darf. Die Künstlerin Harlis Schweizer (geb. 1973) durfte. Einerseits, weil die Firma Lista Office das Sujet „Künstleratelier“ für den Jahreskalender 2017 begrüsste; anderseits, weil die Künstlerin das Vertrauen der Künstler (-innen) geniesst, deren Ateliers nun im Kalender gezeigt werden. Nur: Was wird eigentlich gezeigt; was bekommen wir zu sehen? Offensichtlich haben wir keine detailgetreuen fotografistischen Abbildungen, aber auch keine überhöhenden, werbewirksamen oder gar symbolischen Interieurs vor Augen – nichts, das unsere Neugier, unsere Erwartungen oder unsere Sensationslust befriedigen würde. Harlis Schweizers Innenansichten geben im Grunde nichts von den Ateliers, zumindest nichts von den alchemistischen Küchen der Kunst preis. Dafür mehr von den eigenen Interessen der Künstlerin – und von ihrem Können. Ein Augenmerk der Künstlerin liegt auf den Materialien, die in den Ateliers ver- oder angesammelt sind: Den Einrichtungsgegenständen, den Lagerstätten für die Werke, den scheinbar alltäglichen Nebensächlichkeiten wie Musikinstrumenten, Fotos, Stoffdecken und so weiter – eben die „banale“ Welt der Künstlerseins die sich kaum von unserer Alltagsrealität unterscheidet. Warum auch – das genialische Chaos von Künstlerateliers war und ist eine Projektion kleinbürgerlicher Kreise und einiger Möchtegerns. Dennoch schwingt in den Arbeiten Schweizers etwas Besonderes, etwas Aussergewöhnliches mit – fast möchte ich von Raumstimmung oder von Stimmungsräumen schreiben, doch wäre das wiederum zu oberflächlich und (für mich) zu sentimental, zu wenig wesentlich. Das Eigentümliche an diesen Atelieransichten scheint mir eher, dass es Harlis Schweizer gelingt, den künstlerischen Blick als wichtig und bedeutungsvoll darzustellen. Sie zeigt das „Sehen“ als Grundvoraussetzung jeglichen künstlerischen Tuns, jeglicher ästhetischer Transformation von Welt. Dies gelingt ihr, weil sie ihr eigenes Sehen, ihren Blick auf Zusammenhänge, mithin ihre Wahrnehmung zur Schau stellt, Bild werden lässt. Das individuelle Erfassen, das subjektive Begreifen von Wirklichkeit zeigt sich schon in der sorgfältigen Auswahl des jeweiligen Raumausschnitts, der eben nicht zufällig ist, sondern eigentlich Spannungsloses dynamisiert, perspektivisch fast dramatisiert. Wobei es nicht um lineare Perspektiven, sondern um eine Perspektive der Farbdichten, Raumtemperaturen sowie der Leerstellen innerhalb eines mit Bleistift skizzierten Liniengeflechts geht: Ein Flechtwerk, das immer Durch- und Ausblicke gestattet – aus Innenräumen nach Draussen, aus dem Bildraum auf die Papierfläche, aus dem Benennbaren auf das Unbezeichnete, aus der Gewissheit auf das Unbestimmte oder Geheimnisvolle.

Vielleicht ist es das, was neben vielem anderen in Künstlerateliers geschieht: Die Gestaltung der Erfahrung, dass nichts so sehr trügt, wie das angeblich objektiv Sichtbare; das Festhalten der Einsicht, dass die materielle Welt ausschliesslich Erscheinung, äusserst flüchtig ist, schon zur Erinnerung wird kaum dass sie wahrgenommen wurde? Harlis Schweizer jedenfalls lässt dieses Gefühl in den Atelieransichten aufscheinen – jenen Moment der Unsicherheit, der ausschliesslich im Kunstwerk und durch Kunst zum tatsächlichen Augenblick wird.

Roland Scotti, Kurator
Heinrich Gebert Kulturstiftung, Appenzell

In jedem von uns steckt ein Künstler
Lassen auch Sie den Augenblick zum Kunstwerk werden
und somit viele Erinnerungen an ein wundervolles 2017
aneinanderreihen.

Harlis Schweizer HadjidjsSchaffen

Harlis Schweizer Hadjidjs (*1973), Bühler

harlis.ch

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